Umgangsvereinbarung

Geltungsbereich:
Diese Verhaltensanweisung (nachfolgend Umgangsvereinbarung) gilt verpflichtend für alle Mitglieder, Mitarbeiter_innen, Gäste und Nutzer_innen des freien Radios „Radio Unerhört Marburg e.V.“.
Die Mitglieder, Mitarbeiter_innen, Gäste und Nutzer_innen sowie ihre Plena und Arbeitsgruppen sind auch verantwortlich für die Umsetzung der in der
Umgangsvereinbarung getroffenen Beschlüsse und für die Aufklärung anderer im Radiokontext sich bewegender Menschen.
Unter „Radiokontext“ werden alle Aktivitäten verstanden, die im Zusammenhang mit Radio Unerhört Marburg e.V. stehen oder in den zugehörigen Räumlichkeiten stattfinden. Zum Radiokontext gehören somit auch Veranstaltungen, Sendeübertragungen, Recherchetätigkeiten, Interviews und ähnliches außerhalb der Räumlichkeiten von Radio Unerhört Marburg e.V.. Kollektive Strukturen erfordern eine ständige Bereitschaft zur Selbstreflektion aller Beteiligten. Bei Verweigerung oder Missachtung der in dieser Umgangsvereinbarung festgelegten Ziele liegt eine Störung des Vereinsfriedens vor und ein Ausschluss wird angestrebt.

Grundsätze:
1. Jede Person, die sich im Radiokontext aufhält, ist verpflichtet, zur Einhaltung des Vereinsfriedens und eines guten Arbeitsklimas beizutragen. Hierzu gehört vor allem, die Persönlichkeit und Würde jeder anderen im Radiokontext sich aufhaltenden Person zu respektieren. Radio Unerhört Marburg e.V. strebt an, seine Mitglieder, Mitarbeiter_innen, Gäste und Nutzer_innen für Formen der Diskriminierung und Belästigung zu sensibilisieren um diese zu vermeiden. Es soll ein Klima geschaffen werden, in dem Verletzungen der Würde – so sie dennoch passieren – angstfrei angesprochen werden können. Dabei streben wir an, auftretende Konflikte im Sinne der Betroffenen zu lösen.

2. Zur Verletzung dieser Würde des Einzelnen gehört insbesondere das bewusste, gezielte und fahrlässige Herabwürdigen bis hin zur sexuellen Belästigung, Mobbing und Diskriminierung. Unmittelbare oder auch mittelbare Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Hautfarbe, Nationalität, gesellschaftlicher Klasse, Abstammung, Religion, Geschlecht, Alter, Behinderung, Krankheit und/oder sexueller Identität werden im Radiokontext nicht toleriert.

2.1 Diskriminierung
Diskriminierung aufgrund der oben genannten zugeschriebenen Merkmale, gleich welcher Form und Ausprägung, werden bei Radio Unerhört Marburg e.V. nicht geduldet; entsprechenden Tendenzen wird konsequent entgegengetreten.
Diskriminierung kann sich beispielsweise äußern in:

  • Beleidigungen oder Herabwürdigungen, die in schriftlicher oder mündlicher Form geäußert werden sowie diesbezüglicher Handlungen
  • tätliche Bedrohung
  • Nötigung
  • das Verleumden von Personen oder deren sozialem Umfeld.

2.2 Sexuelle Belästigung
Sexuelle Belästigung ist ein vorsätzliches und sexuell bestimmtes Verhalten, das die sexuelle Selbstbestimmung eine_s anderen verletzt.
Dazu gehören beispielsweise:

  • Unerwünschter, sexuell bestimmter Körperkontakt und Missachtung der Distanz (unerwünschtes Berühren, Betätscheln)
  • unerwünschte sexuelle Annäherungsversuche jeder Art z.B. in Form von Gesten, Äußerungen in schriftlicher oder verbaler Form, Geschenken
  • anzügliche und beleidigende Bemerkungen, Kommentare oder Witze
  • das Zeigen sexistischer oder pornographischer Darstellungen
  • die Aufforderung zu sexuellen Handlungen
  • tätliche Bedrohung, Nötigung
  • Andeutungen, dass sexuelles Entgegenkommen Vorteile bringen könnte

2.3 Mobbing
Der Begriff „Mobbing“ kommt aus dem Englischen: „to mob“ heißt schikanieren, angreifen, drangsalieren. Mobbing bezeichnet einen Prozess der Ausgrenzung und Erniedrigung eines anderen Menschen, der von einer oder mehreren Personen systematisch mit Absicht betrieben wird und das Ziel verfolgt, den_die Betroffene aus dem Radio als physischem und sozialem Raum zu drängen. Diese feindseligen Handlungen geschehen mit einer gewissen Regelmäßigkeit und über einen längeren Zeitraum.
Es handelt sich nicht um Mobbing bei einmaligen Vorfällen oder wenn zwei etwa gleich starke Parteien in Konflikt geraten. Interessengegensätze können immer wieder auftreten und sollten in angemessener Form so ausgetragen werden, dass möglichst ein Kompromiss zwischen den Konfliktparteien erzielt wird, der niemanden in seiner
Integrität verletzt. Wann Handlungen nicht mehr sozial hinnehmbar sind, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.
Typische Mobbing-Handlungen sind beispielsweise:

  • Drohungen und Erniedrigungen, Hohn und Aggressivität
  • Beschimpfungen, verletzende Behandlung, ständige, ungerechtfertigte Kritik
  • absichtliches Zurückhalten von arbeitsnotwendigen Informationen
  • die betroffene Person wird geschnitten oder lächerlich gemacht
  • unwürdige Behandlung
  • Verbreitung haltloser und kränkender Gerüchte über den_die betroffene Person

bewusst falsche Anschuldigungen gegenüber Anderen.

3.1) Vorbeugung und Aufklärung
Die Verantwortung zur Vorbeugung vor Diskriminierung, sexueller Belästigung und Mobbing obliegt allen Mitgliedern, Nutzer_innen und Mitarbeiter_innen von Radio Unerhört Marburg e.V. sowie der Aus- und Fortbildungs-AG und dem Radioplenum. Zur Verhinderung von Diskriminierung, sexueller Belästigung und Mobbing ist sowohl die Aufklärung von Mitgliedern, Gästen und Projektpartner_innen, Nutzer_innen und Mitarbeiter_innen als auch die Klärung von Konflikten notwendig. Vorbeugung und Aufklärung sind dann erfolgreich, wenn sie auf den Aufbau von Selbstvertrauen bei Betroffenen zielen. Bei freiwerdenden Stellen sollten die Stellen-AGs darauf achten, dass die Bewerber_innen gleich behandelt werden und das Einstellungsverfahren transparent gestalten. Die Aus- und Fortbildungs-AG sorgt dafür, dass die Inhalte dieser Umgangsvereinbarung in regelmäßigen Workshops (z.B. in den Einführungsworkshops, aber auch darüber hinaus) transportiert werden. Das Radioplenum, die Mitglieder und die Mitarbeiter_innen sind aufgefordert, ernsthaft zu prüfen, inwieweit Verbesserungsbedarf in Hinblick auf Arbeitsklima und Vereinsfrieden besteht. Die Umgangsvereinbarung sollte innerhalb des Radiokontextes aktiv verbreitet werden. Jede_r Einzelne, der_die sich im Radiokontext aufhält, darf diesbezügliche Fragen an die Aus- und Fortbildungs-AG, die  Antidiskriminierungskommission (siehe 4.1) und das Radioplenum stellen.

3.2 Maßnahmen gegen Diskriminierung und Belästigung
Der Vorstand von Radio Unerhört Marburg e.V., die Hauptamtlichen sowie die Teilnehmer_innen am Radioplenum verpflichten sich, gegen Personen vorzugehen, die andere Personen im Radiokontext in oben genanntem Sinne diskriminieren, mobben oder sexuell belästigen. Der diskriminierenden Person muss verdeutlicht werden, dass sie gegen den Vereinsfrieden verstößt und/oder das gute Arbeitsklima gefährdet. Die im Folgenden genannten Maßnahmen sollen künftige Diskriminierungen und Übergriffe verhindern und klarstellen, dass der Vorstand, die Hauptamtlichen und das Radioplenum solche Verhaltensweisen auf keinen Fall tolerieren.

4. Beschwerderecht
Mitglieder, Nutzer_innen, Gäste und Mitarbeiter_innen, die sich von den
Radiostrukturen oder von Menschen die sich im Radiokontext aufhalten diskriminiert, benachteiligt oder belästigt fühlen, haben das Recht zur Beschwerde. Nachteile dürfen dem_der Antragssteller_in daraus nicht entstehen.

4.1 Ansprechpartner_innen
Wenn sich eine Person diskriminiert, belästigt oder benachteiligt fühlt und eine persönliche Zurechtweisung durch die belästigte Person im Einzelfall erfolglos ist oder Ängste bestehen, den Konflikt im direkten Kontakt anzusprechen, können sich die Betroffenen an die Antidiskriminierungskommission wenden.
Diese wird jährlich vom Radioplenum in einer offenen Abstimmung gewählt und setzt sich aus einer hauptamtlichen Person, einem Vorstandsmitglied und einer ehrenamtlich im Radio engagierten Person zusammen. Die Antidiskriminierungskommission hat folgende Rechte und Pflichten:

  • allen – auch vertraulichen – Hinweisen auf und Beschwerden auf Grund von
    Belästigung, Diskriminierung und Mobbing im vorgenannten Sinne nachzugehen,
  • die Betroffenen zu beraten und zu unterstützen,
  • auf Wunsch eine_n Betroffene_n zu allen Gesprächen und Besprechungen zu

begleiten, zu beraten und ihn zu unterstützen oder ihn_sie gegebenenfalls dort zu vertreten (Vertrauensperson)

4.2 Stufen der Beschwerdebehandlung
a) Gespräch mit den Konfliktparteien
Eine betroffene Person kann zunächst ein Gespräch mit dem_der Konfliktgegner_in unter Hinzuziehen eine_r der o. g. Ansprechpartner_innen verlangen. Der_die Betroffene kann auch einen der zuständigen Ansprechpartner_innen als Vertretung beauftragen (Vertrauensperson), wenn er_sie nicht selbst an dem Gespräch teilnehmen will. Letzteres Vorgehen wird zum Schutz der_des Betroffenen empfohlen. Über den eventuellen Wunsch, die Anonymität des_der Betroffenen zu wahren und die Möglichkeit, dies umzusetzen, sollte explizit gesprochen werden. Der_die Betroffene hat das Recht, dass dieses Gespräch schnellstmöglich, spätestens innerhalb von zehn Tagen nach der Beschwerde stattfindet. Ist er_sie nicht selbst anwesend, wird der_die Betroffene persönlich von der Vertrauensperson über den Ablauf des Gesprächs benachrichtigt. Führt dieses Gespräch nicht zu einer Einigung oder Aufarbeitung des Konflikts, wird innerhalb von 2 Wochen ein Sonderplenum einberufen (Sonderplenum 1).

b) Sonderplenum 1
Anwesend sein sollten auf dem Sonderplenum 1: Der_die Konfliktverursacher_in, die Mitglieder der  Antidiskriminierungskommission, der_die Betroffene oder die Vertrauensperson der_des Betroffenen, ggf. externe Moderation.
Ergibt sich auch bei dem Sonderplenum 1 keine Einigung oder Aufarbeitung des Konflikts, so muss innerhalb von weiteren zwei Wochen ein zweites Sonderplenum stattfinden.

c) Sonderplenum 2
Anwesend sein sollten auf dem Sonderplenum 2: Mindestens eine Teilnehmer_in des Konfliktverursacher_in-Einzelgesprächs (s.u.) , Mitglieder der Antidiskriminierungskommission, der_die Betroffene oder die Vertrauensperson der_des Betroffenen, sowie der_die Konfliktverursacher_in. Das Sonderplenum 1 bestimmt vorbereitend 2 Personen, welche vor dem Sonderplenum 2 ein Einzelgespräch mit der_dem Konfliktverursacher_in führen. Bei diesem Einzelgespräch wird der Konflikt erneut erörtert und der_die Konfliktverursacher_in hat Gelegenheit, dazu erneut Stellung zu nehmen. Hierbei geht es vor allem um die Aufklärung der Sicht des_der Konfliktverursacher_in auf den konkreten Tathergang (Handlungen, keine Motivationen oder Deutungen). Der Inhalt des Gesprächs wird durch die vom Sonderplenum 1 bestimmten Personen der Antidiskriminierungskommission übermittelt.
Beim Sonderplenum 2 werden zunächst die Anwesenden vom Verlauf des
Konfliktverursacher_in-Einzelgespräches in Kenntnis gesetzt. Sanktionen werden nicht auf dem Plenum ausdiskutiert. Stattdessen wird eine Kommission gebildet, die Sanktionen beschließt. Es ist erwünscht, dass die betroffene Person ihre Sanktionswünsche dieser Kommission übermittelt.
Das Sonderplenum 2 bestimmt außerdem 2 Personen, die zukünftig als
Beobachter_innen fungieren. Sie dienen als Ansprechpartner_innen für den Fall, dass die Sanktionsmaßnahmen nicht eingehalten werden.

d) Sonderplenum 3
Anwesend sein sollten auf dem Sonderplenum 3 die Antidiskriminierungskommission und die Sanktionskommission. Ausgeschlossen sind der_die Konfliktverursacher_in, der_die Betroffene, sowie die Vertrauensperson der_des Betroffenen. Die von der Sanktionskommission erarbeiteten Sanktionsvorschläge werden auf dem Sonderplenum 3 abgestimmt oder modifiziert abgestimmt. Die Ergebnisse des Sonderplenums 3 werden der betroffenen und der konfliktverursachenden Person übermittelt, sowie allen sich im Funkhaus aufhaltenden Personen. Es liegt in der Verantwortung aller, auf die Einhaltung der Sanktionsmaßnahmen zu achten oder Verstöße den Beobachter_innen zu melden.

e) Ende der Beschwerdebehandlung
Mit der Übermittlung der Sanktionsmaßnahmen ist die Berschwerdebehandlung beendet. Weitere Stufen der Beschwerdebehandlung sind nicht möglich. Der Ablauf der Stufen der Beschwerdebehandlung kann auch beendet werden, sobald eine Einigung oder Aufarbeitung des Konflikts erfolgt ist. Die Einigung kann durch die betroffene Person und die Antidiskriminierungskommission gemeinsam festgestellt werden.

f) Ablehnung der Anerkennung des Beschwerdeverfahrens
Eine Nichteinhaltung der Sanktionen legt einen Ausschluss aus dem Verein Nahe. Übt der_die Konfliktverursacher_in außerhalb des Beschwerdeverfahrens Druck auf die betroffene Person aus, stellt dies eine Verweigerung der Anerkennung des Beschwerdeverfahrens dar. Dies drückt die Missachtung der kollektiven Strukturen von Radio Unerhört Marburg e.V. aus und gefährdet in erheblichem Maße den Vereinsfrieden und das gute Arbeitsklima, was ebenfalls einen Ausschluss aus dem Verein nahelegt.

5. Vertraulichkeit
Über die Informationen und Vorkommnisse, persönlichen Daten und Gespräche ist absolutes Stillschweigen gegenüber Dritten zu bewahren, die nicht am Verfahren beteiligt sind. Wird der Konflikt auf dem regulären Plenum verhandelt, so wird auf Wunsch des_der Betroffenen der entsprechende TOP anonymisiert und / oder aus dem öffentlich zugänglichen Protokoll herausgenommen. Den am Beschwerdeverfahren beteiligten Personen wird explizit die Möglichkeit zur externen Supervision eingeräumt. Protokolle, die während der Sonderplena angefertigt wurden, sind von der  Antidiskriminierungskommission so zu verwahren, dass Unbeteiligte keinen Einblick erhalten.

6. Rechte der Mitarbeiter_innen
Jede_r Mitarbeiter_in hat das Recht, sich während der Arbeitszeit (beispielsweise bei den oben genannten Ansprechpartner_innen) über diese  Umgangsvereinbarung zu informieren, hierzu Fragen zu stellen und sich über Diskriminierung, sexuelle Belästigung und Mobbing zu beschweren.

7. Projektpartner_innen, Gäste etc.
Da die in dieser Umgangsvereinbarung festgelegten Verhaltensregeln auch für Gäste, Nutzer_innen, Projektpartner_innen etc. im Radiokontext gelten, sollten diese, um die Umgangsvereinbarung transparent zu machen, aktiv darauf hingewiesen werden.

8. Umsetzung, Fortschreibung und Änderung der Umgangsvereinbarung
Die Mitglieder, Projektpartner_innen, Nutzer_innen und Mitarbeiter_innen von RUM e.V. verpflichten sich, die in dieser Umgangsvereinbarung festgeschriebenen Punkte umzusetzen, aufmerksam zu verfolgen und bei Bedarf fortzuschreiben. Über Änderungen der Umgangsvereinbarung kann auf den allgemeinen Radioplena entschieden werden.

9. Inkrafttreten
Diese Vereinbarung tritt am 22.01.2013 in Kraft.